Langzeitbelichtung mit Graufilter – wie geht das?
Sicher hat jeder schon mal die verträumt anmutenden Langzeitbelichtungen von Landschaftsaufnahmen mit Wasserfällen, Küsten oder Wildbächen gesehen, bei denen bewegte Wolken und Wasser eine geheimnisvolle Aura erhalten. Wolken scheinen über den Himmel zu fliegen und bewegtes Wasser wird wie von Geisterhand in zarten Nebel gehüllt. In diesem Beitrag erkläre ich, was man an zusätzlicher Ausrüstung benötigt und wie man diese attraktiven Bilder ganz einfach erstellen kann, denn man benötigt dazu keinen Computer und keine Bildbearbeitung!
Was man braucht | So wird’s gemacht
Was man braucht
Kamera, Fernauslöser und Objektiv
Die Kamera sollte eine manuelle Einstellmöglichkeit bieten und einen Stativanschluss besitzen. Damit sind alle Spiegelreflexkameras und Systemkameras geeignet, ebenso viele Bridge- und Kompaktkameras. Sehr hilfreich ist die Möglichkeit, die Kamera mit einem Fernauslöser auslösen zu können. Das kann ein Kabelauslöser, aber auch ein Auslöser mit Infrarot- oder Funkverbindung zur Kamera sein. Auch mit dem Handy lassen sich einige Kameras via WLAN oder Bluetooth mit einer passenden App auslösen.
Die verwendeten Objektive sollten ein Filtergewinde an der Frontseite besitzen, bei extremen Weitwinkelobjektiven ist auch ein spezieller Filterhalter geeignet. Die geeigneten Objektivbrennweiten liegen im Bereich bis etwa 200 mm (bezogen auf eine Vollformatkamera). Je kürzer die Brennweite ist, um so stärker ist der Effekt bei den Wolken. Ein extremes Weitwinkelobjektiv kann also nützlich sein, aber auch bei 24 mm ist die Wirkung schon sehr dramatisch.
Stativ
Natürlich benötigt man ein Stativ! Und es sollte ein stabiles Stativ sein, denn die Belichtungszeiten sind zum Teil extrem lang, so dass die Gefahr der Unschärfe durch Verwackeln sehr groß ist. Selbst kleine Windstöße können die Kamera auf einem leichten Stativ ausreichend bewegen, um ein verwackeltes Resultat zu erzielen. Ich selbst verwende hierfür gerne das Manfrotto Stativ 190XPROB der Serie 190, es ist ein guter Kompromiss aus hoher Stabilität und erträglichem Gewicht. Aber auch die Serie 055 und die hochwertigen Stative von Benro, Gitzo oder Novoflex sind neben vielen anderen hierfür bestens geeignet.
Beim Stativkopf fällt meine Wahl auf den Getriebeneiger MA-410 von Manfrotto, obwohl er mit 1,4 kg recht schwer für den mobilen Einsatz ist. Der Vorteil des MA-410 ist die Möglichkeit, die Ausrichtung der Kamera in den drei Richtungen einerseits schnell, wie mit einem 3-Wege-Neiger einstellen zu können, aber andererseits die genaue Ausrichtung für jede der drei Achsen mit einer Feineinstellung justieren zu können. Aber natürlich tut es auch jeder 3-Wege-Neiger oder sogar ein stabiler Kugelkopf recht gut.
Graufilter
Das eigentlich Wichtige und Besondere für die Aufnahmen ist aber natürlich der Graufilter. Nur damit erreicht man die für diesen Bildstil nötige extrem lange Belichtungszeit auch bei Tageslicht. Je nach Dichte bzw. „Dunkelheit“ des Filters verlängert es die Belichtungszeit der Aufnahme zum Teil erheblich. Je größer der Verlängerungsfaktor ist, um so besser für uns!
Eine kleine Schwierigkeit bei der Auswahl eines passenden Filters ist deren uneinheitliche Bezeichnung durch die Hersteller, die bei manchen weniger erfahrenen Anwendern zu Verwirrung und Ratlosigkeit führt. Drei unterschiedliche Bezeichnungen und manchmal sogar Mixturen daraus haben sich ergeben:
- Lichtverlust: Der Filter wird mit dem Lichtverlust in Lichtwerten bezeichnet, beispielsweise -1. Dies bedeutet, dass die Lichtmenge durch den Filter um einen Lichtwert, also z.B. eine ganze Blendenstufe reduziert wird.
- Verlängerungsfaktor: Der Filter wird mit dem Verlängerungsfaktor der Belichtungszeit angegeben, der nötig ist, um den Lichtverlust des Filters auszugleichen. Beispielsweise würde der o.g. Filter mit der Bezeichnung -1 mit dem Verlängerungsfaktor 2x oder 2-fach bezeichnet werden.
- ND (Neutraldichte / Neutral Density): Die Angabe ND gibt die optische Dichte des Filters, als wie dunkel er ist, als logarithmischen Wert an. Der o.g. Filter -1 würde nach diesem System mit ND 0,3 bezeichnet werden.
- Falsche ND-Bezeichnung: Leider hat sich bei einigen auch namhaften Herstellern ein falsches Bezeichnungssystem eingebürgert. Hier verwendet man zwar das Kürzel ND für Neutraldichte, ergänzt ihn aber mit einem zum Teil gerundeten Verlängerungsfaktor des Filters. Unser Beispielfilter -1 würde nach diesem System fälschlicherweise ND2 heissen, denn ein echter ND2 Filter hätte einen Lichtverlust von fast 7 Lichtwert- oder Blendenstufen bzw. einen Verlängerungsfaktor von rund 100!
Gegenüberstellung der wichtigsten Graufilterwerte
Lichtverlust in Lichtwerten (LW) | -1 | -2 | -3 | -4 | -5 | -6 | -7 | -8 | -9 | -10 |
Neutraldichte (ND) | 0,3 | 0,6 | 0,9 | 1,2 | 1,5 | 1,8 | 2,1 | 2,4 | 2,7 | 3,0 |
Verlängerungsfaktor | 2x | 4x | 8x | 16x | 32x | 64x | 128x | 256x | 512x | 1024x |
Falsche ND-Bezeichnung | 2 | 4 | 8 | 16 | 32 | 64 | 128 | 256 | 512 | 1000 |
Bei einem Filter mit einem Verlängerungsfaktor von 4 muss die 4-fache ohne Filter gemessene Belichtungszeit verwendet werden. Beispielsweise wird aus 1/125 sek eine erforderliche Belichtungszeit von 1/30 Sek. Bei einem Filter mit dem Aufdruck 1000x beträgt der Verlängerungsfaktor 1000, aus 1/1000 sek wird also 1 sek, aus 1/125 sek werden 12 sek.
So wird’s gemacht
Das Motiv
Nun zur Praxis! Als erstes benötigt man natürlich ein passendes Motiv. An der Küste bieten sich viele Gelegenheiten, um Langzeitbelichtungen zu machen. Je stürmischer das Meer ist, um so besser. Aber auch sprudelnde Wildbäche oder Wasserfälle eignen sich sehr gut. Auch hier ist es wichtig, dass sich das Wasser stark bewegt, nach Möglichkeit auch schäumt, also Weisswasser/Gischt bildet. Wichtig für ein gut gestaltetes Bild ist aber auch, dass das Motiv einen Eyecatcher enthält, einen optischen Anziehungspunkt, der im Gegensatz zu der Bewegungsunscharfe perfekt scharf sein sollte. Bei dem Syltfoto ganz oben sind das die Buhnen im Vordergrund und das abendliche Wolkenspiel im Hintergrund. Bei der Aufnahme mit dem Wasserfall sind es die Steine im Vordergrund und die grün bewachsenen Felsen im Hintergrund.
Die Wirkung des Graufilters
Je dunkler der Graufilter vor dem Objektiv ist, um so länger wird die nötige Belichtungszeit sein und damit um so intensiver der Weichzeichnungseffekt durch die Bewegungsunschärfe. Um den Effekt zu variieren, kann man auch mehrere Graufilter miteinander kombinieren. So ergibt ein Filter mit dem Faktor 1000x zusammen mit einem Filter mit dem Faktor 4x nich eine 1004-fache Belichtungsverlängerung, sondern eine Verlängerung um den Faktor 4000x (1000×4)! Theoretisch kann man beliebig viele Graufilter mit einander kombinieren. In der Praxis gibt es jedoch Einschränkungen: je mehr Filter man kombiniert, um so größer wird die Gefahr von Reflexen, Unschärfen, Farbverfälschungen und Vignettierungen im Bild. Günstig ist es also, wenn man für sein Motiv einen Graufilter hat, der die Belichtungszeit soweit verlängert, wie es nötig ist, ohne viele Filter miteinander kombinieren zu müssen.
Kameraaufbau und -einstellungen
Zunächst wird das Stativ aufgebaut und die Kamera montiert. Dabei sollte man darauf achten, dass man die Kamera nicht zu dicht an temperamentvollen Wasserfällen oder unberechenbarer Brandung positioniert. All zu plötzlich ändert das Wasser seine Richtung oder Reichweite und die Kamera erhält eine kräftige Dusche! Das Stativ sollte dabei einen festen Stand haben, damit es während der Belichtung nicht seine Position verändert. Am Strand, wo das Stativ meist auf lockerem Sand steht, drücke ich es mehrere Zentimeter in den Untergrund hinein, damit es einen festeren Stand bekommt.
Nach dem man das Motiv anvisiert und den richtigen Bildauschnitt gewählt hat, stellt man mit dem Autofokus oder manueller Fokussierung das Motiv scharf ein. Danach schaltet man den Autofokus auf jeden Fall ab, denn mit aufgesetztem Graufilter kann der Autofokus nicht mehr scharf stellen, er sieht ja ebenso wie wir durch den Filter fast nichts mehr. Erst jetzt setzt man den/die gewünschten Graufilter vor das Objektiv.
Nun zu den Kamaraeinstellungen. Die ISO-Automatik muß abgechaltet sein, der ISO-Wert wird zunächst auf 100 gesetzt (200 bei einigen älteren Nikon-Kameras). Das Programmwählrad kann entweder auf M (Manuelle Belichtungseinstellung) oder auf A/Av (Zeitautomatik) eingestellt sein. Die Blende wird auf die kleinste Blendenöffnung, also die größte Blendenzahl eingestellt die vorhanden ist. Die Belichtungszeit richtet sich nach den vorhandenen Lichtverhältnissen, dem verwendeten Graufilter und der gewünschten Intensität des Unschärfeeffektes. Je länger sie ist, um so mehr verschwimmen Details sich bewegender Bildelemente. Wer die manuelle Belichtungseinstellung gewählt hat, stellt die gewünschte Belichtungszeit direkt an der Kamera ein, bei Verwendung der Zeitautomatik tut dies ja die Kamera selbst. Um die Helligkeit der Bilder in der Zeitautomatik zu korrigieren, kann die Belichtungskorrekturfumktion verwendet werden. Meist ist es eine mit „+/-“ beschriftete Taste, während man sie drückt, kann mit dem Wählrad eine Korrektur in Richtung „+“ (heller) oder „-“ (dunkler) eingestellt werden. Bei einigen Canon-Kameras verwendet man dazu das große Einstellrad rechts neben dem Monitor. Viele Kompakt- und Systemkameras ermöglichen die Belichtungskorrektur über das Einstellmenü oder den Touchscreen, manche auch über ein Wählrad.
Vorher/Nachher-Vergleich einer Aufnahme vom Weststrand bei Prerow, links mit 1/100 sek. belichtet, rechts mit 10,0 sek. belichtet
Wie komme ich zum besten Ergebnis?
Anders, als bei gewöhnlichen Fotos, sollte man die Belichtungszeit nicht zur Regelung der Bildhelligkeit verwenden. Der Grund: mit der Belichtungszeit verändert man ganz wesentlich die Bildwirkung der Weichzeichnung durch die lange Belichtungszeit. Besser ist es, die Bildhelligkeit über den ISO-Wert, die Filterdichte (Dunkelheit des Filters) oder über die Blende zu regulieren. Wie immer beeinflußt die Blende natürlich auch die Schärfentiefe, bei längeren Brennweiten ist man da also auch eingeschränkt. Da aber die Leistungsfähigkeit neuerer Kameras auch bei höheren ISO-Werten meist sehr gut ist, hat man hier eine gute Möglichkeit, die Belichtung des Bildes zu kontrollieren, auch wenn man keine Sammlung verschiedener Graufilter besitzt.
Ein guter Start zum Experimentieren ist ein Graufilter mit dem Faktor 1000x. Es gibt sie als Einschraubfilter in verschiedenen Größen und als Steckfilter für unterschiedliche große Filterhalter. Verlockend, aber vergleichsweise teurer sind die Graufilter mit variabler Dichte. Meine Erfahrungen damit waren weniger gut, mein Exemplar war weit weniger farbneutral, als ein normaler 1000x-Filter und hat damit massive, nicht gleichmäßige Farbstiche ins Bild gebracht. Wem der 1000x-Graufilter nicht reicht, findet von dem chinesischen Hersteller Haida auch Filter mit dem Verlängerungsfaktor 4000x.
… und nun viel Erfolg beim Experimentieren mit Langzeitbelichtungen und Graufiltern!